Passionsandacht am Mittwoch, den 18.3.2020 im Dom St. Nikolai: Ecce Homo

Epitaph der Familie Schwarz

Hätten wir uns heute zur Passionsandacht im Dom versammeln können, dann stünden wir jetzt vor dem Epitaph der Familie Schwarz. Das ist eine der Gedächtnistafeln für Verstorbene, die in unserem Dom hängen: in diesem Falle eine Erinnerung an den ehemaligen Greifswalder Bürgermeister Christian Schwarz (1581-1648), die ihm seine Kinder gestiftet haben. Über dem Portrait der Familie Schwarz ist eine biblische Szene aus der Passionsgeschichte dargestellt: eine teilweise Kopie des Rembrandt-Gemäldes „Ecce Homo“. Es zeigt jenen Moment, wo Pilatus den gegeißelten und blutig geschlagenen Jesus vor die Volksmenge führt, um zu sagen: „Seht! Das ist der, den ihr töten lassen wollt, weil er sich angeblich für einen König hält. Ich finde nicht, dass er eine Gefahr darstellt.“ Im Johannes-Evangelium ist das zusammengefasst in das Wort: „Ecce Homo.“ – „Sehet: ein Mensch.“

Es ist viel darüber gerätselt worden, was Pilatus damit sagen wollte: War er wirklich an einer Freisprechung Jesu interessiert? Oder beschönigt der Evangelist die Rolle des römischen Statthalters um alle Schuld auf die Juden zu wenden? Wohl eher. Nichts spricht historisch dafür, dass Pilatus so „gnädig“ war.

Dieser Ausspruch „Ecce homo“ ist aber immer weniger als historisches Dokument gelesen worden sondern eher als eine Aufforderung an uns Heutige: Sehet, welch ein Mensch ist das gewesen! Zeigt sich in diesem geschundenen und zu Unrecht angeklagten und misshandelten Jesus nicht seine Menschlichkeit! Zeigt sich darin nicht das menschliche Antlitz überhaupt? Wo immer Menschen geschunden und gequält werden, sehen wir in das Gesicht Jesu!  „Ecce homo: Sehet auf diesen Menschen!“ – So könnte es unter jedem Zeitungsfoto stehen, das menschliches Elend zeigt.

Und dann geraten wir in die Rolle des Volks in der Passionsgeschichte: auf dass nicht auch wir schreien: „Ganz recht geschieht es ihm oder ihr! Nur weiter so.“ Sondern dass wir umkehren und einhalten und uns fragen: wie konnte es so weit kommen, - dass Menschen wie Jesus leiden müssen in dieser Welt - durch die Schuld von Machthabern wie Pilatus und Volksmengen wie damals, die nicht begreifen, wie hier die Menschenwürde mit Füßen getreten wird.

Eine wahrhaft zeitlose Szene. Eine Szene, die uns auch heute dazu auffordert, genau hinzusehen - auf die Menschen, die heute unseren Beistand brauchen – und unser Eingreifen.

Auch und gerade in solchen Ausnahmezeiten, wie wir sie jetzt mit der Corona-Epidemie erleben: Schaut genau hin, wo Menschen Hilfe brauchen! Und dann tut, was getan werden muss.

Ecce Homo!

Pastor Tilman Beyrich

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