Passionsandacht am Mittwoch, den 1.4.2020 im Dom St. Nikolai: Joseph von Arimathäa

Epitaph der Familie Schwarz

Unsere 5. Passionsandacht stellt uns heute vor das Epitaph der Familie von Essen. Johannes von Essen war im 17. Jahrhundert Prof. für Geschichte in Greifswald und später Propst in Demmin. Wir sehen ihn als imposante Pfarrersfigur im linken Bild-Vordergrund. Auf der rechten Seite ist seine Frau Gertrud im schwarzen Gewand und seine früh verstorbene Tochter im grün-rot gemusterten Kleid in das Bild hineingemalt worden. Denn bei dem Bildmotiv aus der Passionsgeschichte handelt es sich eigentlich um eine (seitenverkehrte) Kopie der „Kreuzabnahme“ von Peter Paul Rubens aus dem Antwerpener Dom. Franz von Essen, der Sohn der Familie ließ 1684 dieses Epitaph malen, nachdem der Vater drei Jahre zuvor im südlichen Seitenschiff des Domes beigesetzt wurde. Seine Grabplatte und die seiner Frau befinden sich noch heute an der Wand der Bürgermeisterkapelle.

Aber das Entscheidende an diesem Epitaph sind natürlich nicht die Stifterfiguren, sondern das ist die Szene, auf welche sie verweisen. Schaut hin auf Jesus, der für uns gestorben ist! Der für uns gelitten hat. Vor langer Zeit. Aber auch uns heutigen kommt es immer noch zu gute! Die 2000 Jahre, die zwischen uns und dieser Szene liegen, sind in geistlicher Hinsicht nur ein Augenblick – weil es ein Geschehen ist, das von der Ewigkeit handelt, weil es uns Zeitgenossen im Jahre 2020 noch genauso wie die handelnden Personen damals – und wie die Familie von Essen im 17. Jahrhundert – berührt und angeht. Weil es uns zeigt wie Gott an uns handelt – von Ewigkeit zu Ewigkeit.

Wir, die wir vor diesem Gemälde stehen, wollen es also genauso halten wie Propst von Essen und seine Familie auf dem Bild, der mit dabei steht als Jesu Leichnam abgenommen wird vom Kreuz. Gleichzeitig sein mit Jesus und seinen Jüngern und dem, was damals geschah: darum geht es bei jeder Passionsandacht. Das heißt Glauben.

Vielleicht mögen Sie – die Sie diese Andacht lesen - an dieser Stelle das Gesangbuch aufschlagen und singen oder lesen: EG 85 O Haupt voll Blut und Wunden Str. 1.3.6

Der Abschnitt aus der Passionsgeschichte, auf die sich unser Gemälde bezieht, steht bei Markus im 15. Kap. Verse 42-47

42 Da es Rüsttag war, der Tag vor dem Sabbat, und es schon Abend wurde,  43 ging Josef von Arimathäa, ein vornehmes Mitglied des Hohen Rats, der auch auf das Reich Gottes wartete, zu Pilatus und wagte es, um den Leichnam Jesu zu bitten.  44 Pilatus war überrascht, als er hörte, dass Jesus schon tot sei. Er ließ den Hauptmann kommen und fragte ihn, ob Jesus bereits gestorben sei.  45 Als er es vom Hauptmann erfahren hatte, überließ er Josef den Leichnam.  46 Josef kaufte ein Leinentuch, nahm Jesus vom Kreuz, wickelte ihn in das Tuch und legte ihn in ein Grab, das in einen Felsen gehauen war. Dann wälzte er einen Stein vor den Eingang des Grabes.  47 Maria aus Magdala aber und Maria, die Mutter des Joses, beobachteten, wohin er gelegt wurde.

Liebe Gemeinde,

Josef von Arimathäa soll heute im Mittelpunkt unserer Andacht stehen. Wir kennen ihn nur aus dieser einen Erwähnung in der Bibel. Ein weiterer Josef. So wie ein Josef – der Verlobte Marias – am Anfang der Jesus-geschichte steht, so ist es wieder ein Josef, der den Leichnam Jesu bestatten hilft, ja der es überhaupt erst erwirkt, dass Jesus bestattet werden kann!
Josef von Arimatäa „wagte es“, Pilatus darum zu bitten. Denn ein Wagnis war es ja, sich zu diesem „Aufrührer“ zu bekennen. Die Jünger Jesu taten nichts dergleichen, und die Frauen – Jesu Mutter Maria und Maria von Magdala – hatten als Frauen wohl nicht das Recht, vor Pilatus zu treten. Aber jener Josef hatte den Mut und den Anstand das Mindeste für Jesus zu tun, was jetzt noch getan werden konnte: ihm ein würdiges Begräbnis zu ermöglichen, nach jüdischem Brauch. Die Römer hätten den Leichnam sonst wohlmöglich in einem Massengrab „entsorgt“.

Einen Verstorbenen in Ehren zu bestatten – das ist ein hohes Gut! Das wahrt die Würde des Menschen – unter welchen Umständen auch immer er stirbt. Das macht uns zu Menschen, dass wir unsere Toten so mit Würde behandeln!

Und umso mehr im Falle Jesu: indem Josef von Arimathäa sich um seinen Leichnam kümmert, erweist er ihm – und Gott – die Ehre. Auch wenn fast alle anderen Jesus verlassen haben und verhöhnt und verspottet und gequält – Josef, von dem es heißt: dass auch er „auf das Reich Gottes wartete“ hält zu ihm.

Auf dem Bild von Rubens ist Josef mit kostbarem Mantel und roter Kappe dargestellt: einer aus dem Hohen Rat, ein angesehener Jude. Aber er ist sich nicht zu Schade, mit auf die Leiter zu steigen, Hand an zu legen, damit die Kreuzabnahme behutsam geschehe. Er gibt Geld aus für ein Leinentuch und für eine Grabstelle – die er vielleicht für sich selbst vorgesehen hatte. Und er legt damit den Grundstein für die Ostergeschichte: das nämlich drei Tage später dieses Grab offen und leer aufgefunden wird …

Liebe Gemeinde, die Passionszeit versetzt uns in diesem denkwürdigen Jahr 2020 auf ungeahnte Weise in die Gleichzeitigkeit mit dieser Geschichte. Auch wir sind aufgefordert, in der kommenden Woche am Karfreitag nicht nur Jesus die Ehre zu erweisen wie jener Josef von Arimathäa, sondern ebenso auch an der Seite all derer zu stehen, die in diesen Tagen trauern um die Verstorbenen der Corona-Epidemie: in unserem Land – aber genauso auch in Italien und Spanien und weltweit. Ihnen erweisen wir die Ehre, indem wir für sie und ihre Angehörigen beten.
Und genauso beten wir für alle Ärztinnen und Ärzte und Pflegekräfte, die um das Leben der Erkrankten ringen. Lasst uns mit Hand anlegen und tun, was wir tun können – so wie damals Josef von Arimathäa.

Wir beten gemeinsam das Vater unser …

Amen

Pastor Tilman Beyrich

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